Vorwort
Sinnesscharf wandeln die Helden Aventuriens durch die Wildnis, um die nächste Stadt zu erreichen, den Auftraggeber zu eskortieren oder auf Jagd nach einem McGuffin zu gehen. Häufig wird das Grün dabei zur Beilage, die man vor lauter Anstrengung nicht einmal zwangsläufig bemerkt, da sich der Blick eher auf die Bewegung im Unterholz oder die Geräusche im Blätterdach fokussiert, immer in der Erwartung, dass sich dort gleich ein Impuls fürs Spiel offenbart. Doch Unterholz und Blätterdach können ihrerseits zum NSC werden wie das Wesen, das sich aus ihrem Geflecht zu den Helden kämpft. Denn wie unbefriedigend wäre es für uns, nie zu erfahren, was da aus dem Wald auf die Helden zukommt, wie ungewöhnlich, nicht klarstellen zu wollen, ob es nun ein Tier, ein Dämon oder doch eine Fee ist – und von welcher Art, denn dies macht doch einen Unterschied, bestimmt in entscheidender Weise, für das weitere Spiel!
Dass aventurische Pflanzen dieses Interesse ebenso verdienen, soll dir das vorliegende Aventurische Herbarium ans Herz legen.
Statt „Pflanzen“ und „die Wildnis“ als charakterlosen Sammelbegriff stehen zu lassen, bietet das Aventurische Herbarium einen vielfältigen Baukasten für die Bepflanzung deines Aventurien, der sowohl konkrete Gefahren als auch allerhand nützliche Helfer ins Spiel bringt.
Das Aventurische Herbarium hat somit den Anspruch, passive Elemente der Spielwelt zu aktivieren und in vertiefender Weise für das Rollenspiel nutzbar zu machen. Zunächst soll dies durch die Aufteilung der Vegetation in zwei Gruppen erreicht werden, die jeweils unterschiedliche Aspekte des Spiels bereichern können.
Der Hauptteil, das namensgebende Aventurische Herbarium, stellt charakteristische Pflanzen Aventuriens vor, die wie Kreaturen mit eigenen Regeln ausgestattet sind und ausführlich in die Spielwelt eingebettet werden. Das zweite Kapitel sammelt Rezepte, die sich aus Pflanzen des Hauptteils ergeben und den Status Quo deiner Spielwelt nach Belieben aufmischen können. Wann war dir das letzte Mal bewusst, dass so manches Gift in jedermanns Tasche stecken kann, dass Wissen und Vorbereitung sehr wohl mit Faust und Klinge mithalten können und dass Magie zwar vielseitig, doch sicher nicht immer am günstigsten oder gar alternativlos ist? Aus diesen Kapiteln begründet sich die zweibändige Struktur des Aventurischen Herbariums und die Aufteilung der verregelten Pflanzen auf jeweils eines der Werke. Viele Ordnungsvorschläge wurden während der Planungsphase des Herbariums entwickelt und verworfen, und schließlich haben wir uns entschieden, dass die Nützlichkeit das oberste Ordnungsprinzip für unser Vorhaben darstellen sollte. Da trotz einiger wehrhafter Arten trotzdem die meisten Pflanzen ihre Wirkung durch die von Helden initiierte Interaktion entwickeln, sollte die Nutzbarmachung und Weiterverarbeitungsmöglichkeit von Pflanzen unseren Fokus darstellen.
Deshalb wurden die Pflanzen nach ihrem Vorkommen in Rezepten, an vielen Stellen in abhängigen Paaren, auf zwei Werke verteilt. Auf diese Weise muss für die Umsetzung von Rezepten nur das Werk vorliegen, in dem das Rezept steht, da eben dort auch die Pflanzen mit allen nötigen Angaben verortet sind. Bei einer Sortierung nach Landschaftstypen wäre dies wesentlich unkomfortabler geworden, da für ein Rezept an einigen Stellen mehrere Bücher nötig gewesen wären, sobald die Beschaffung der Zutaten ausgespielt wird. Der Umfang von etwa 70 Rezepten nur für diesen ersten Band gibt Hinweise darauf, warum wir uns für eine Zweiteilung des Werkes entschieden haben.
Im dritten Kapitel des Buches wird neben Fokusregeln die zweite Gruppe Pflanzen vorgestellt: Die Alltagspflanzen, die jeder Aventurierin überall begegnen, und zwar so oft, dass sie uns als Spielerinnen aus der bewussten Wahrnehmung entgleiten können. Gerade aus dieser Vertrautheit gewinnen Alltagspflanzen jedoch ihre Bedeutung für das Spiel. Unzählige Volksbräuche, Sagen, Legenden und Alltagsrezepte haben sich in jeder Region Aventuriens etabliert und sind jeweils ihre eigenen Abenteuer wert. Sie verraten vieles über die Handlungsmuster und Denkweisen der Kulturschaffenden, helfen Zusammenhänge politischer bis kosmischer Natur zu ergründen, und bringen durch ihre Varianz eine ganz persönliche Note in dein Aventurien.
Rein durch das vielfach ungenutzte Potenzial der Pflanzenwelt eröffnet sich die Möglichkeit, Aventurien noch einmal neu kennenzulernen, indem man einfach den Blick zu den Füßen lenkt und bewusst wahrnimmt, was um einen herum gedeiht.
© Zoe Adamietz (für die Redaktion), voller Sehnsucht auf Herbstvollmondnächte im Sommer 2019, Waldems
