Kulturpflanzen Nordaventuriens
Nordaventurien ist in weiten Bereichen ungezähmt, wild und ursprünglich. Das raue Klima im Hohen Norden ist durch kurze Sommer und lange Winter geprägt. Durch den dauerhaft gefrorenen Untergrund ist weder in Tundra noch in Taiga planmäßige Landwirtschaft möglich. Jenseits davon ist die Landschaft jedoch deutlich von ihr geprägt. Sich im Wind wiegende Ähren im Sommer, oder aufgebrochene Äcker im Winter sind allenthalben ein vertrauter Anblick, ebenso Haine, in denen gepflegte Obstbäume stehen.
Getreide Nordaventuriens
Unter den harten klimatischen Bedingungen im Hohen Norden gedeihen nur wenige Kulturpflanzen. Der anspruchslose Dinkel ist eine davon und dem gewöhnlichen Weizen recht ähnlich, wiewohl seine Ähren flacher, dünner und länger sind. Er wird als Wintergetreide angebaut, spätestens im Efferd ausgesät und überdauert unter dem Schnee die kalte Jahreszeit.
Wenn der Dinkel Mitte Praios geerntet wird, ist er zwar noch nicht reif, kann aber zu Grünkern weiterverarbeitet werden. Geschnittener Dinkel wird zu Garben gebündelt und bei gutem Wetter für einige Tage zum Trocknen auf den Feldern gelassen. In dieser Zeit verschwinden wie von unsichtbarer Hand bisweilen Garben und tauchen anderswo wieder auf, gelegentlich bei Bedürftigen, denen sie dann auch nicht wieder abgenommen werden dürfen. Weit öfter finden die Bauern sie aber, verkeilt zwischen Fels und Stein, in der Nähe des Ackers. Jedes Kind des Nordens weiß, dass dahinter Vesen stecken, hasenartige Feenwesen, die in Dinkelfeldern leben und sich mit den Garben ein Winterlager einrichten. Es bringt großes Unglück, die Feenwesen heimatlos zu machen, denn während der Reife wachen sie über die Felder und gelten daher als Glücksbringer. Abgesehen davon sind sie von rachsüchtigem Wesen, und Nordländer fürchten ihren Zorn.
Ebenfalls genügsam ist Emmer (Zweikorn), den neben den Menschen vornehmlich Grishik (Bauern) der Orks anbauen. Wie sein Verwandter, der Dinkel, hat auch Emmer geringe Ansprüche, liefert aber auch nur dürftige Erträge. Er eignet sich nicht zur Mehlherstellung und wird stattdessen zu Brei, Mus oder Graupen, aber auch zu dem dunklen und würzigen Emmerbier verarbeitet. Im Binnenland und in den Flussauen des Nordens wird Hafer angebaut. Nivesen tauschen ihn gerne ein, um Fladen daraus zu backen, und allenthalben ist er als kräftigendes Pferdefutter sehr geschätzt. Hafer hat keine richtigen Ähren, sondern stark verzweigte, büschelige Rispen. Er ist recht anspruchslos und gedeiht selbst an Stellen, an denen anderes Getreide nur kümmerlich wächst. Dennoch bringt auch Hafer seinen größten Ertrag auf guten, fetten Böden. Seine große Bedeutung als Futterpflanze – für Mensch und Tier – spiegelt sich in gleich zwei Sprichwörtern wider, die im Volksmund wohlbekannt sind. Lastet auf einem Raum unangenehmes Schweigen, ist „da gut Hafer säen“, denn die sehr leichten Körner benötigen bei der Ansaat windstilles Wetter. Jemand, den der „Hafer sticht“ zeichnet sich durch großen Übermut aus, was häufig auch auf ein gut gefüttertes Pferd zutrifft.
Im nördlichen Mittelreich und dem Bornland wird hauptsächlich Roggen angebaut. Kälte macht ihm nichts aus und selbst auf sandigem Moorland gerät Roggen recht gut, weswegen er als ein besonderes Geschenk Peraines gilt. Er wird im späten Traviamond ausgesät und Anfang Rondra geerntet. Weiterverarbeitet wird er meist zu Roggenmehl. Außerdem lässt sich aus Roggen hervorragend Branntwein destillieren, als dessen edelste Variante Balihoer Bärentod gilt. Ebenfalls beliebt ist das erdige und malzige Bier aus Roggenmalz. Aus alten Zeiten hat sich der Brauch bewahrt, Roggenfelder nicht vollständig abzuernten und damit „die letzte Garbe“ zu entrichten. Diese Sitte soll die Roggenmuhme (auch Roggawîf) gnädig stimmen. Sagen berichten von ihr entweder als übel meinendem Korndämon und Kinderschreck oder als altem und wohlmeinendem Geist des Landes. Allgemein heißt es, wenn eine Roggenmuhme das Feld durchschreitet, sorge dies für fruchtbaren Boden und kräftigen Roggen. Zürnt sie dem Bauern hingegen, lässt sie das Feld verdorren. Bei der Ernte soll sie in den letzten Halm fliehen oder eben in die letzte Garbe, wo sie bis zur Aussaat überdauert. Ihr Aussehen wird unterschiedlich beschrieben, übereinstimmend ist nur, dass sie übermenschlich groß und hager ist, überlange Arme und Brüste sowie langes, spinnwebenartiges Haar haben soll. Weiter heißt es, sie sehne sich nach eigenen Kindern, weswegen sie jene in ihr „Wurzelreich“ lockt, die sich im Zwielicht zu nah an ihren Acker wagen.
Obst & Gemüse Nordaventuriens
Kaum ein Bauernhof noch ein Adelssitz des Nordens hat keinen eigenen Gemüsegarten. Große Rüben, allen voran Zuckerrüben, werden im nördlichen Mittelreich großflächig angebaut, um daraus Zucker und Rübensirup herzustellen. Auch kleinere Arten, wie Steckrüben, Rote Rüben und Mohrrüben spielen eine große Rolle in der Küche des Nordens.
Ähnlich vielfältig und verbreitet ist Kohl, denn neben Brot und Grütze ist er das Hauptnahrungsmittel des einfachen Volkes. Klein geschnitten und mit Salz in Fässern eingemacht, wird er zu Sauerkraut. Nördlich von Mittelreich und Bornland wird eher Bauernkohl (Grün-, Eis— oder Ifirnskohl) angebaut, von dem es heißt, Frost würde ihn erst bekömmlich und schmackhaft machen. Nur in kleinem Umfang wird im nördlichen Mittelreich Kürbis angepflanzt.
Seit bornische Kauffahrer sie vor etwa zwei Jahrhunderten aus dem Süden in ihre Heimat brachten, ist die Kartoffel im Norden mittlerweile heimisch geworden und wird großflächig angebaut. Die oberirdischen Teile der Knollenpflanze sind leicht giftig.
Erbsen und Bohnen gedeihen außerhalb des Ewigen Eises überall. Während der Sommermonate werden sie frisch als grünes Gemüse gegessen. Einige werden jedoch erst im Herbst geerntet, um dann die getrockneten Kerne aus den Schoten zu klopfen, denn sie sind als Trockenbohnen sehr lange haltbar.
Weitverbreitet ist auch der Anbau von Lauch und Zwiebeln. In ihrer wilden Form sind Letztere schlecht verträglich, bisweilen sogar giftig. Die großen Erfolge bei der Kultivierung zu verschiedenen Zwiebelsorten gelten daher als besonderer Segen Peraines.
Im Laufe der Zeit haben Bauern die im Norden so häufigen Beeren in ihre Gärten geholt. Die fruchtigen Himbeeren und die säuerlichen Rahjanisbeeren (im Norden auch Ribisel) sind allenthalben beliebt, aber auch die Brombeere wird als fruchttragender Schutzwall sehr geschätzt. Wo das Klima es zulässt, werden Obsthaine angelegt.
Birnbäume spielen hier nur vereinzelt eine Rolle, wohingegen kultivierte Apfelbäume im ganzen Norden heimisch sind. Besonders bekannt ist der große grüne Warunker Appel, doch es gibt eine große Vielzahl von Sorten, und in manchen Apfelhainen werden sie so klug kombiniert, dass vom Frühling bis in den Herbst frische Äpfel geerntet werden können.
Ursprünglich im Süden beheimatet, gedeihen Pflaumen inzwischen sogar in Tobrien, Greifenfurt und insbesondere in Weiden. Zibarten, die ältesten Zuchtpflaumen, werden fast nur in der Branntweinbrennerei benutzt, während größere Pflaumen vielfältig eingesetzt werden und den Speisezettel vieler Menschen, seien sie von Stand oder gemein, bereichern.
Im bornischen Walsachtal besonders häufig sind die, nördlich einer Linie Havena–Beilunk vorkommenden, Walnussbäume. Wo sie gedeihen, wachsen sie zu regelrechten Baumriesen heran und werden sorgsam gepflegt, denn ihre Nüsse sind ein kostbarer Handelsartikel. Das aus ihnen gepresste Öl ist vielfältig einsetzbar und wird daher bis nach Al’Anfa gehandelt. In der Alchimie werden Walnüsse als Repräsentanten des Gehirns und somit des Geistes verwendet.
Kirschbäume sind als Kulturpflanzen außerhalb des Bornlands eher selten, dennoch gibt es einige Sorten. Knorpelkirschen haben süßes und festes Fruchtfleisch, Herzkirschen sind dunkelrot, süß und weich. Doppelkirschen jedoch sind keine Sorte, sondern eine Besonderheit, bei der zwei Früchte am gleichen Stil hängen. Den meisten Menschen gelten sie als Symbol der Fruchtbarkeit, Elfen betrachten sie als unheimliches Omen.
Andere Nutzpflanzen Nordaventuriens
Im ganzen Mittelreich, ehedem aber vor allem in Tobrien, wird Flachs (Lein) angebaut. Normaler Flachs blüht himmelblau, der am Bedon-Fluss angebaute jedoch gelb, weswegen goldene Bedonblüten das Wappen Beilunks zieren. Die Stängel bestehen aus langen Bastfasern, aus denen mit geringem Aufwand robuste und mit etwas mehr Mühe hochwertige Fäden gesponnen werden können. Ersteres ergibt Grobleinen, Letztere werden zu edlen Tuchen verwoben. Hanf gedeiht in Nordaventurien nur in Weiden. Färberwaid hingegen wird südlich der Eislande in ganz Nordaventurien angebaut. Seine gelben Blüten ähneln denen von Raps und aus seinen blaugrünen Blättern kann durch Zerkleinern in einer Waidmühle sowie Fermentieren ein tiefblauer Farbstoff gewonnen werden, der jedoch nicht so dauerhaft oder kräftig ist wie Hesindigo. Das auch Färberginster genannte Gelbkraut wird nur selten gezielt kultiviert und ist eine typische Heidepflanze. Blüten, Blätter und Zweige werden verwendet, um Stoffe sonnengelb zu färben. Wurde das Gewebe zuvor mit Alaun behandelt, ergibt dies ein zartes Limonengelb, wurde es Waid ausgesetzt, entsteht ein sattes Grün.