Schlangenzünglein

»Deswegen war sie nicht nach Rashdul zur Hospitation der Grauen Stäbe gekommen. Ihr erster eigener Auftrag und dann direkt so eine Enttäuschung. Sie sollte ein Gewächs namens Schlangenzünglein suchen. Warum kaufte man das nicht einfach, wie alles andere auch? Warum hatte der Apothekarius es nicht selbst besorgt? Moqtah zog den Mund zu einer Schnute und kratzte mit den Fingernägeln über den Schreibtisch. Zwar hatte sie sich in Khunchom auch für Alchimie und Pflanzenkunde interessiert, aber sie hatte als Beste in der Magica Clarobservantia, der Hellsichtmagie, abgeschlossen. Aus dem Gedächtnis sagte ihr die Pflanze nichts. Immerhin war der Zugang zur Bibliothek hilfreich. ›Was liefern das Herbarium Kuslikum und die Notiz des Taranion Tagenion, Magister des Instituts der Arkanen Analysen?‹ Man findet es auf Maraskan. Wundervoll, in die grüne Hölle hatte sie noch nie gewollt. Die verrückte Philosophie im Khunchomer Viertel war zwar intellektuell interessant, aber gewiss keine teure Reise wert. ›Am Mhanadi wächst es ebenfalls – schon besser. Der verläuft in der Nähe.‹

Sie notierte sich erste Stichpunkte. ›Habitus:‹ – warum mussten die Liebfelder immer so hochtrabende Begriffe für Aussehen oder Wuchs nehmen? – ›Aus einer am Boden wachsenden Rosette mit fahlgrauen Blättern entsteht ein leicht S-förmiger Pflanzenkörper von etwa zwei Spann. Aus dem olivgrünen Gewächs mit gelben Sprenkeln hängt ein rötlich gegabeltes Blatt, die sogenannte Zunge. Die Pflanze ernährt sich von gefangenen Insekten.‹

Der Zettel füllte sich.

›Was macht dieses Gewächs besonders? Indicatio: Die Pflanze zeigt die Wirkung arkaner Strukturen. Dabei verfärbt sich ihr Saft rot. Der Magister heißt es eine magieerspürende Wirkung.‹ Damit hatte sie nicht gerechnet. Die Schnute war inzwischen gewichen und ihre Finger strichen langsam über das Holz. ›Die Wirkung ist also der des Blutblatts oder des Cantus ODEM ähnlich. Die nächste Frage ist: Erleichtert die Anwendung vielleicht die magische Analyse?‹