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Der Alraunige Homunculus

»Geschichtenerzähler unterschiedlicher Kulturen berichten von Wurzelmännchen, die geschäftig im Wald irgendwelchen Tätigkeiten nachgehen, die sie völlig einzunehmen scheinen. Kindern sagt man, sie sollen nicht um Hütten im Wald herumschleichen und schon gar nichts von den Beeten stehlen. Statt Leckerbissen zöge man dort nur Weiblein aus der Erde, die schreien, dass einem die Ohren bluten. Andere wissen von einem seltsamen Einsiedler zu berichten, der in Dörfern aufdringlich Geschäfte zu machen sucht. Während er dir mit der einen Hand einen Koffer voller Tinkturen gegen jedes Leid anzudrehen versuche, trage er im anderen Arm ein runzliges Pflänzchen umher, dass sich – wer glaubt es – an dessen Umhang festklammere wie ein Neugeborenes. All dies sind Hinweise auf ein Volk der Alraunigen, die aus der blutgetränkten Erde unter Galgen aufsteigen, um im Licht des Mondes ihrem Werk nachzugehen …«
—Almanach des Volksglaubens, Honingen, 921 BF

Homunculi sind, aventurischen Sagen und Legenden zufolge, belebte Wesen, die denjenigen dienen, die ihnen einen Willen, oder Lebenssinn, eingehaucht haben. Anders als Golems, werden Homunculi jedoch nicht aus toter Materie wie Stein, Sand oder sogar totem Fleisch zusammengesetzt. Stattdessen handelt es sich bei einem Homunculus um ein Wesen, das bereits vor der Einflößung eines fremden Willens lebendig war. Während der Golembau als dämonische Magie gilt – denn das götterlästerliche Unleben, welches den Golem bewegt stammt aus den Niederhöllen – so ist der Fall des Homunculus bei den aventurischen Gelehrten weit weniger eindeutig geklärt.

Aus den flüchtigen Sichtungen und Sagen leiten die Aventurier unterschiedliche Erklärungsansätze ab, wo die Alraunigen im göttlichen Plan zu verorten seien.

Manche deuten sie als Feenwesen, die schon immer für sich allein irgendwo fern der Zivilisation existiert haben. Andere vermuten eine ursächliche Verbindung mit Kulturschaffenden. Es ist nicht auszuschließen, dass die Idee zur Erschaffung eines pflanzlichen Dieners auf der Beobachtung von Feenwesen wie Dryaden basiert. Dies soll hier jedoch nicht abschließend geklärt werden, sondern weiterhin lokalen Mythen und eigenständigen Überlegungen überlassen sein.

Regeltechnisch handelt es sich bei einem Homunculus um ein übernatürliches alchimistisches Elixier, das von jedem mit alchimistischem Talent, den Zutaten und einem entsprechenden Berufsgeheimnis hergestellt werden kann. Dieses Elixier beinhaltet als Hauptzutat einen Wirtskörper, hier die Alraune, welcher magisch belebt wird. Die Belebung, so lautet eine These, sei auf einen magisch gebundenen Astralgeist zurückzuführen, der die Verhaltensweisen der Erschafferin nachahme und so den Eindruck einer Persönlichkeit vermittele. Eine andere These suggeriert die Teilung oder Verrückung der Seele der Erschafferin in das Wesen, sodass eine Art minderes Simulacrum entstehe. Wieder andere behaupten, eine bisher nicht benennbare dämonische Macht erwecke das Wesen im Austausch für einen Minderpakt, der durch die Zelebranz des Rezeptes (unbewusst) angeboten werde. Manche Theoretiker sehen den Schlüssel vielmehr in der Übertragung von Sikaryan, der Essenz des Lebens. Viele weitere innerweltliche Erklärungen sind möglich.

Von anderen Monstrositäten unterscheiden sich Homunculi durch ihre ausgeprägte Persönlichkeit, die umso eigensinniger und komplexer zu sein scheint, je besser das Rezept zu ihrer Erschaffung umgesetzt wurde.

Leise raunend sprechen sie mit ihrem Erschaffer, teilen ihm Ideen und teils wahnwitzige Pläne mit. Diese Fähigkeit zu eigenständiger Kreativität macht Homunculi so begehrt unter solchen Hexen und Alchimisten, die für antagonistische Dämonen und hirnlose Arbeitssklaven keine Verwendung hätten. Homunculi lernen schnell die Verhaltensweisen ihres Erschaffers nachzuahmen und eignen sich dessen Wesenszüge und Persönlichkeitsschwächen, bisweilen sogar andere Vorteile und Nachteile an. Ab dem Moment ihrer Erschaffung übernehmen sie zudem zentrale Fertigkeiten, haben jedoch Schwierigkeiten, sich weiterzubilden oder Neues zu erlernen, das über den Horizont ihres Erschaffers hinausgeht. In diesem Sinne dienen sie dem Erschaffer vor allem als Gedächtnisstütze und Gesprächspartner, der eigenes Wissen als Advocatus Diaboli erörternd zurückwirft, Wissensfragmente zusammenbringt, die der Erschaffer nicht zu verbinden vormochte, und mit amoralischer Brillanz überrascht.

In gewisser Weise sind Homunculi sehr anhängliche Wesen, die ihrem Erschaffer von sich aus hinterherlaufen und nach Beschäftigung verlangen. Im Laufe der Zeit werden sie mürrischer und wollen aus Prinzip überredet werden, selbst wenn es sich um Tätigkeiten handelt, an denen sie anscheinend Freude haben. Sie arbeiten effizient und fleißig, jedoch nicht, ohne sich grummelnd zu beschweren und über Umstände, Gerätschaften und ihren Erschaffer herzuziehen. Homunculi verweigern selten die Kooperation, strafen ihren Erschaffer jedoch mit Apathie, wenn die regelmäßigen Bäder im Blut ihres Erschaffers ausbleiben, aus denen sie ihren Lebenswillen ziehen. Besonders meisterlich erschaffene Alraunige sollen, so spekuliert das Fachwerk Codex Rei Cogitantis, sogar davon träumen können, sich zu vermehren und ihrerseits Diener zu erschaffen. An der Interaktion mit anderen Personen neben ihrem Erschaffer haben Alraunige kein Interesse. Werden sie von jemand anderem angesprochen, verbleiben sie stumm und starr wie die Wurzel, aus der die erschaffen wurden. Alraunige arbeiten auch in Abwesenheit ihres Erschaffers und lassen sich nicht von ihrem alchimistischen Werk abbringen. Die Materialien, Instrumente und Früchte ihres Werks verteidigen sie bitterlich, sofern sie sie nicht verstecken können. Alraunige fliehen, wenn sie Schmerzen erleiden, welche sie, zumindest scheinbar, empfinden können. Gerne graben sie sich in den Boden ein, um den Augen Fremder zu entgehen, und lassen dann nur ihre Blätter als Sinnesorgane über dem Erdboden stehen.

Alraunige Homunculus